Lebensunterhalt

Lebensunterhalt [1]

Wovon lebte Nabokov in seiner Berliner Zeit? Mit siebzehn hatte er von einem Onkel ein Millionenvermögen geerbt. Die Revolution hatte es ausgelöscht, wie das gesamte - beträchtliche - Vermögen seiner Familie. Bitter machte ihn der Verlust nicht: »Für Emigranten, die die Roten hassen, weil sie ihnen Geld und Land gestohlen haben, empfinde ich nichts als Verachtung. Meine Sehnsucht... ist das hypertrophische Bewußtsein, die Kindheit verloren zu haben, nicht der Schmerz um verlorene Banknoten... Wenn ich auf jene Jahre des Exils zurückschaue, sehe ich mich und Tausende anderer Russen ein seltsames Leben in materieller Armut und intellektuellem Luxus führen ...« (Erinnerung, sprich. Memoiren, 1948/1966. Seite 92, 375).

Von seiner Schriftstellerei konnte er in den Jahren seines europäischen Exils auch dann nicht leben, als er bekannt und Anfang der dreißiger Jahre sogar berühmt geworden war. Sein Publikum war und blieb der enge und nach außen geschlossene Kreis seiner überwiegend gleich ihm mittellosen und zunehmend versprengten Mitexilanten. Die vielen Gedichte und Erzählungen, die er vor allem in der Berliner russischen Tageszeitung Rul‘ veröffentlichte, dürften ihm, wenn überhaupt etwas, nur Pfennigbeträge eingebracht haben. Die Auflagen seiner Bücher scheinen, wie aus den erhaltenen Verlagsverträgen hervorgeht, höchstens 2000 Exemplare betragen haben; bei einem Ladenpreis von 1 bis 2 Reichsmark und einem Autorenanteil von 10 Prozent lief das bestenfalls auf ein Honorar von 200 bis 400 Mark hinaus. (Die Kaufkraft von 1 Mark betrug knapp 5 Euro).

In seiner ganzen Berliner Zeit verdiente er nur ein einziges Mal einen nennenswerten Geldbetrag: als ihm der Ullstein Verlag 1928 für die deutschen Rechte an seinem zweiten Roman König Dame Bube 7500 Mark zahlte. Hoch erfreut gab er das Geld auf der Stelle für eine viereinhalbmonatige Schmetterlingstour nach Südfrankreich aus. Gelegentlich gab es eine kleine Zuwendung von einer der russischen Hilfsorganisationen. 1936 bekam er 250 willkommene Dollar, als die preußische Staatsbank das Erbe seines Vorfahren, des Komponisten Carl Heinrich Graun aufteilte. Die meiste Zeit brachte er sich mit Gelegenheitsjobs knapp über die Runden: Er gab Englisch- und Französischunterricht (Standardlohn in Berlin damals: 1 Mark die Stunde), Tennis- und Boxstunden, verfertigte Schachaufgaben und Kreuzworträtsel. Seine Frau Vera arbeitete, so lange sie konnte und durfte, als Fremdsprachensekretärin, gelegentlich sogar als Fremdenführerin. Als sie als Jüdin 1936 ihre letzte Stelle in einem Ingenieurbüro verlor, hatte die Familie keinerlei Einkünfte mehr.

Nabokov in der Rückschau: »Jüngere, weniger bekannte, aber anpassungsfähigere Schriftsteller ergänzten zufällige Geldzuwendungen durch irgendeine andere Arbeit. Ich entsinne mich, Englisch- und Tennisunterricht gegeben zu haben. Geduldig ging ich gegen den hartnäckigen Hang Berliner Geschäftsleute an, business so auszusprechen, als reimte es sich auf dizziness;und unter den langsam dahinziehenden Wolken eines langen Sommertags spielte ich wie ein flotter Roboter ihren sonnengebräunten, bubiköpfigen Töchtern auf staubigen Plätzen einen Ball nach dem anderen zu. Fünf Dollar (eine beträchtliche Summe während der deutschen Inflation) bekam ich für meine russische Alice im Wunderland. Ich half bei der Zusammenstellung eines Russischlehrbuchs für Ausländer, dessen erste Übung mit den Worten Madam, ja doktor, wot banan (Gnädige Frau, ich bin der Arzt, hier ist eine Banane) begann. Vor allem aber habe ich für eine Emigranten-Tageszeitung, den Berliner Rul',die ersten russischen Kreuzworträtsel angefertigt, die ich krestoslowizy taufte. Es ist seltsam, an jenes absonderliche Leben zurückzudenken.« (Ebenda, Seite 385-386)

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